Hört auf Geld aus dem Nichts zu schaffen!
Diese Forderung stammt von Frederick Soddy (* 2. September 1877 in Eastbourne; † 22. September 1956 in Brighton). Soddy war ein englischer Chemiker, Nobelpreisträger und Student von Ernest Rutherford.
Aber was – fragst du dich vielleicht – hat ein Chemiker mit Geld, Finanzsystem und Wirtschaftswissenschaft zu tun. Was haben die Gedanken dieses Chemiker in genau diesem „Geld-und-Leben-Blog“ zu suchen? Frederick Soddy war ein heller Kopf und er hat sich intensiv auch mit dem Thema ökologische Ökonomie beschäftigt – mit äußerst interessanten Ergebnissen. Aber nun der Reihe nach:
Soddy war ein Individualist, der sich Konventionen nur selten unterwarf. Er wird als schwieriger und starrsinniger Zeitgenosse beschrieben. Soddy sah schon 1909 das Energiepotenzial der Atomspaltung voraus. In seinen Forschungsarbeiten konnte er zeigen, dass Atome radioaktiver Elemente zwar unterschiedliche Massen, aber die gleichen chemischen Eigenschaften besitzen können, wofür er 1913 den Begriff Isotop prägte. 1921 erhielt er den Nobelpreis für Chemie für seine Arbeiten über die Radioaktivität.
Der militärische Einsatz der Chemie, die zum Massensterben des 1. Weltkrieges beitrug, brachte ihn dazu, statt Chemie nun politische Ökonomie zu studieren. Er stellte sich die Frage, warum es immer wieder Kriege gebe und stieß dabei auf einen Zusammenhang zum Bankensystem. Er wollte die Welt kennenlernen, die der wissenschaftliche Fortschritt mit seinen Gaben „beglückt“ und ergründen, weshalb die Fortschritte von Naturwissenschaft und Technik vor allem im Krieg ihre Anwendung und Förderung finden. Sein bekanntestes Buch hierzu ist wohl „Wealth, Virtual Wealth and Debt“. In insgesamt vier Büchern, die Frederick Soddy zwischen 1921 und 1934 schrieb, führte er eine visionäre Kampagne für eine radikale Umgestaltung unseres globalen Geldsystems.
Allerdings wurden seine Vorschläge damals rundheraus als Spinnereien abgelehnt.
Thermodynamik in der Wirtschaftswissenschaft
Seine Sicht der Wirtschaft fußt auf den Grundprinzipien der Physik, speziell den Gesetzen der Thermodynamik. Die Wirtschaft wird oft mit einer Maschine verglichen, doch gewöhnlich weigern sich Ökonomen, diesen Vergleich zu Ende zu denken: wie jede Maschine muss auch die Wirtschaft ihre Energie von außerhalb beziehen. Der ersten und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagen, dass es kein Perpetuum mobile gibt. Es gibt keine Maschinen, die Energie aus dem Nichts erschaffen und sie auf ewig recyceln können. Soddy kritisiert, dass man sich die Wirtschaft als ein Perpetuum mobile vorstellt, das scheinbar grenzenlosen Reichtum schaffen kann. Genau das ist der Einwand, den auch Soddys Nachfolger vorbringen, die Vertreter der ökologischen Ökonomie.
Vernünftiger wäre es, so Nicholas Georgescu-Roegen (ein Rumäne, der in den siebziger Jahren diesen neuen Ansatz entwarf), sich die Wirtschaft wie ein lebendes System vorzustellen. Wie jedes lebendige System bezieht es Materie und Energie aus seiner Umgebung (geringe Entropie). Bei lebenden Wesen ist dies Nahrung, bei der Wirtschaft u.a.
- Energie
- Bodenschätze
- Rohmaterial in Form von Pflanzen und Tieren
Wie bei jedem Lebewesen hat auch der Ausstoß der Wirtschaft eine hohe Entropie. Sie hinterlässt verbrauchtes Material und nichtverbrauchte Energie, nämlich
- überschüssige Wärme
- Gase
- toxische Nebenprodukte
- Apfelbutzen
- Rost und Abrieb, durch die Eisen verloren geht
- etc.
Ausstoß – oder Emission – ist alles, was irgendwie Abfall ist, also
- die Zeitung von gestern
- die Schuhe der letzten Modesaison
- die verrosteten Autos des letzten Jahrhunderts
Entropie, Wohlstand und ökologische Ökonomie
Materie, die von der Wirtschaft aufgenommen wird, kann recycelt werden, was Energie verbraucht. Energie aber ist, wenn sie einmal verbraucht ist, in dieser Form nicht mehr verfügbar. Das Gesetz der Entropie besagt, dass es eine nach unten gerichtete Entwicklung vom Geordneten zu weniger nützlichen Formen gibt. Ein Tier z.B. kann nicht ständig von seinen Exkrementen leben. Genauso wenig kann man den Tank seines Autos wieder füllen, indem man es rückwärts schiebt. Georgescu-Roegen griff in seinen Überlegungen also ein bekanntes Zitat des Ökonomen Alfred Marshall auf:
Biologie, nicht Mechanik, ist unser Mekka!
Aus seiner Sicht ist es zwingend nötig, dass sich die Ökonomen mit ihren Theorien und Überlegungen an der Biologie orientieren, um eine nachhaltige Ökonomie zu verwirklichen.
Soddy, Georgescu-Roegen und andere ökologische Ökonomen gehen davon aus, dass Wohlstand real und materiell ist, also z.B.
- Autos
- SmartPhones
- Kleidung
- Möbel
- und Pommes Frites
die wir für unser Geld kaufen.
Das Geld hingegen ist nicht real. Es steht nur dafür, dass sein Besitzer an die Fähigkeit der Wirtschaft glaubt, Wohlstand zu schaffen.
Schulden hingegen sind der inkarnierte Glaube an die Fähigkeit der Wirtschaft, künftigen Wohlstand hervorzubringen.
„Die Leidenschaft unserer Zeit ist es“, so Soddy, „Wohlstand in Schulden umzuwandeln.“
Geld ist nichts, Schulden sind real
Es hört sich völlig verrückt an, aber beim Schulden machen, also beim Kaufen auf Kredit, wandeln wir Dinge mit einem aktuellen Realwert um in den Anspruch auf ein Stück Wohlstand, der erst noch geschaffen werden muss. Kurioserweise können diese Dinge gestohlen werden, kaputt gehen, verrotten oder verrosten bevor man sie noch nutzt. Man kann sogar auf Kredit Geld aus dem Fenster werfen, indem man sich reale Dinge kauft, die man gar nicht braucht.
Geld erleichtert diese Umwandlung. Es ist, so Frederick Soddy, “das Nichts, das Sie für etwas bekommen, bevor Sie überhaupt irgendetwas in der Hand haben“.
Zu Problemen kommt es, wenn Wohlstand und Schulden sich nicht die Waage halten.
Wie viel Wohlstand eine Wirtschaft schaffen kann, hängt davon ab, wie viel Energie von geringer Entropie sie aus ihrer Umgebung entnehmen kann – und wie viel Abfall von hoher Entropie die Umwelt aufnehmen kann, ohne daran zugrunde zu gehen. Schulden hingegen, die ja nicht real sind, kennen keine solche natürliche Begrenzung. Sie können endlos anwachsen, wie schnell sie das tun, liegt ausschließlich an uns.
Lässt eine Ökonomie Schulden stärker anwachsen, als sie Wohlstand schaffen kann, muss sie dafür sorgen, dass die Schulden verringert werden. Das kann durch Inflation geschehen, doch dann sinkt mit den Schulden auch die Kaufkraft, also der Anspruch auf künftigen Wohlstand, jeder gesparte Euro oder Dollar repräsentiert. Gibt es aber keine Inflation, dann muss eine Wirtschaft, die zu viele Ansprüche auf künftigen Wohlstand geschaffen hat, regelmäßig Krisen durchleben, in denen die Schulden verringert werden, wie z.B.
- Aktiencrashs
- Pleiten
- Vollstreckungen
- Zinsausfall
- Pensionskasseneinbrüche
- Wertverfall aller verbrieften Forderungen
Das ist wie bei der „Reise nach Jerusalem“ – plötzlich will jeder, der nur verbriefte Forderungen besitzt, reale Werte. Doch das klappt nicht immer. Der Verlust des einen zieht den des anderen nach sich und schwuppdiwupp brich das ganze System zusammen. Jede einzelne der Krisen, die die USA in den letzten durchgemacht haben, war im Grunde ein Schuldenminderungsmechanismus. Wir werden diese Krisen nicht vermeiden können, wenn wir nicht aufhören, unsere Schulden schneller wachsen zu lassen als Einkommen.
Der Fehler im Geldsystem
Frederick Soddy jedenfalls hätten unsere aktuellen Probleme nicht überrascht. Das Problem ist ja nicht einfach Gier oder Unwissen oder mangelnde Regulierung, der Fehler liegt im System, wie unsere Wirtschaft sich finanziert. Solange der Anspruch auf künftigen Wohlstand schneller wächst, als die Fähigkeit der Wirtschaft, diesen Wohlstand zu erzeugen, schafft der Marktkapitalismus eine Nische für all jene, die geschickt Verschuldungsinstrumente erfinden. Doch irgendwann müssen diese Instrumente mal auf null gestellt werden. Es wird immer einen Bernard Madoff geben oder einen findigen Kopf, der Subprime-Papiere kreiert, also Leute, die bereit sind uns an der Rand der Katastrophe zu bringen. Wenn wir dem Treiben dieser Leute einen Riegel vorschieben wollen, müssen wir die Ansprüche auf künftige Werte in Einklang bringen mit der Fähigkeit der Wirtschaft, diesen Wohlstand überhaupt erst künftig zu schaffen. Aber wie kann das erreicht werden?
Soddy jedenfalls formulierte aus seiner exzentrischen Sicht der Dinge heraus hierfür fünf Grundforderungen. Zur damaligen Zeit wurde jede einzelne dieser Forderungen als Beleg für die mangelnde Praktikabilität seiner Theorien und Ansichten gewertet. Alles was er forderte, galt damals als praktisch ausgeschlossen, denn er rüttelte an in Stein gemeißelten unumstößlichen Gesetzen.
Die ersten vier Forderungen waren:
- Abschaffung des Goldstandards
- freies floaten internationaler Währungskurse
- Einsatz von Staatsschulden und Überschüssen zum Ausgleich und zur Steuerung zyklischer Wirtschaftstrends
- Errichtung nationaler Statistikbehörden (inklusive Einführung eines Verbraucherpreisindex), um diese Ziele umzusetzen.
Interessanterweise sind diese vier Prinzipien inzwischen die anerkannten Eckpfeiler unserer Volkswirtschaften!
Materieller Wohlstand machbar ohne Zinsen
Soddys fünfter Vorschlag, der heute (noch ?) nicht zum Standardrepertoire der gesammelten Wirtschaftsweisheiten gehört, besteht darin den Banken zu verbieten Geld und Schulden aus dem Nichts zu erschaffen – sog. FIAT-Geld. Banken bewerkstelligen dies, indem sie die Einlagen ihrer Kunden verleihen und dafür Zinsen kassieren. Derjenige, der sich das Geld leiht, deponiert es wieder bei irgendeiner Bank, wo es wieder verliehen wird. So entstehen mehr Schulden und mehr Sichteinlagen. Dieser Prozess setzt sich ständig fort – ad infinitum.
Wenn dir dieser zinslose Weg nicht realisierbar erscheint, dann überlege mal, dass dies in den zwanziger Jahren auch für die Aufgabe des Goldstandards und für die Einführung floatender Wechselkurse galt.
Die Gesetzte der Thermodynamik sind unveränderlich – denn es sind Naturgesetze. Wenn Frederick Soddy sie korrekt auf die Wirtschaftswissenschaften angewandt hat, sollten wir dann nicht unseren Horizont um ihre Machbarkeit erweitern ?
Quellen:
- Eric Zencey
- Monetary Realism
- Worldwatch Institute
- The New York Times